High Carb, Low Carb, No Carb… Ernährung ist ein unglaublich emotionales Thema und die Anhänger der verschiedenen Ernährungswiesen sind ziemlich zerstritten. Jeder will Recht haben. Wer soll bei diesem unübersichtlichen Informationswirrwarr denn noch durchblicken? Mayka Sack, Ernährungsberaterin und Trainerin aus Berlin hat sich im Rahmen ihrer Abschlußarbeit des Studiums der Sportwissenschaften genauer mit dem Thema beschäftigt und bringt hier im Interview endlich Licht ins Dunkel.
1. Die Ernährung wird immer wichtiger, ist für viele fast zu einer Art Ersatzreligion geworden. Gleichzeitig herrscht eine große Verunsicherung, weil die Meinungen was man denn nun essen soll extrem auseinander gehen. In deinem Alltag als Trainerin und Ernährungsberaterin erlebst du das bestimmt täglich, oder?
“Ja, leider. Ich erlebe diese Verunsicherung nach fast jedem Training oder bei nahezu jeder Ernährungsberatung: Die Menschen kommen zu mir, weil sie in erster Linie verwirrt sind. Jeder ist mittlerweile Experte, jede Ernährungsweise scheint zu funktionieren, auf Gluten zu verzichten ist mittlerweile total trendy und Kohlenhydrate sind sowieso verboten. Ich finde das sehr schade und grundsätzlich schwierig, dass Pläne und Strukturen einem Individuum vorgegeben werden. Diese so wertvolle, leckere Sache ist individuell bedingt und hängt von vielen Faktoren ab. Ich finde es schade, dass sich viele Menschen bei einer solch individuellen Thematik überhaupt etwas vorschreiben lassen.
Sind wir mal ehrlich: Ich lasse mir beim Schlafen doch auch nicht vorschreiben ob ich auf dem Rücken, auf der Seite oder im Stehen einschlafen sollte ?
Seine Ernährungsweise zu finden scheint mittlerweile der individuellen Persönlichkeitsfindung zu dienen und wird zum festen Bestand des Lebensstils. Ich beobachte, dass man isst um zu zeigen wo man „hingehört“. Dabei ist es ganz genauso, wie mit allem im Leben: Man muss seine eigene Ernährung durch Geduld, Zeit und Ausprobieren selbst erarbeiten und herausfinden.”
2. Du hast dich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt und kannst aus dieser Verunsicherung durch Fakten Klarheit schaffen. Fangen wir vorne an: Warum sollte ich mich Low Carb ernähren? Welche Vorteile hat diese Ernährungsform?
“Ich habe im Rahmen meiner Bachelorarbeit die Langzeitauswirkung von kohlenhydratarmer und kohlenhydratreicher Ernährungsinterventionen auf das Körpergewicht miteinander verglichen. Zunächst sollten wir einen Grundrahmen definieren in dem wir uns diese Ernährungsweise angucken. Die Low-Carb-High- Fat Ernährung bedeutet, dass man seine Energie hauptsächlich aus Proteinen bezieht, aber dennoch Kohlenhydrate zu sich nimmt. In meiner systematischen Übersichtsarbeit bearbeitete ich also keine „No-Carb“ Diäten, sondern bei den Probanden gab es durchaus Kohlenhydrate.
Um die Bombe gleich am Anfang platzen zu lassen: Es ist schwer eine einheitliche Ernährungsempfehlung auszusprechen, da weder die kohlenhydratreichen noch die kohlenhydratarmen Ernährungsinterventionen einen signifikanten Unterschied aufweisen. Bei beiden Ernährungsformen konnten die Probanden gleichermaßen ihren Körperfettanteil reduzieren und hatten bessere Blutwerte. Um einen Unterschied an dieser Stelle zu erwähnen: Die Low-Carb High-Fat Probanden reduzierten am Anfang des Untersuchungszeitraumes schneller ihr Körpergewicht und stagnierten dann, bei der anderen Probandengruppe war dieser Reduktionsprozess gleichmäßiger.
Doch Vorsicht: In den Studien wurde das Körpergewicht untersucht und nicht der Körperfettanteil. Das muss voneinander getrennt werden. Ob also die Probanden ihren Muskelquerschnitt verringerten oder den Körperfettanteil wissen wir nicht.
Ein weiterer Vorteile dieser Ernährungsform ist, dass die hohe Eiweißzufuhr den Appetit vermindert und das zu einer negativen Kalorienbilanz führen kann. Man hat in LCHF Diäten oft niedrige Insulinspiegel, was den Fettabbau begünstigen kann.”
3. Im Gegensatz dazu gibt es wahrscheinlich auch Nachteile dieser Diät. Welche sind das?
“Meine langjährige Erfahrung als Ernährungsberaterin zeigt, dass meine Kunden mit Low-Carb High-Fat Ernährungsweisen schnell und gut den Körperfettanteil für einen gewissen Zeitraum reduzieren konnten. Allerdings wurden fast alle in ihrem Training deutlich leistungsschwacher. Die Ausstiegsrate bei dieser Ernährungsform war immer deutlich höher als bei der kohlenhydratreichen Ernährungsweise.
Darüber hinaus ist es unheimlich schwer diese Ernährung in den Alltag langfristig zu integrieren. Ich selber habe sehr lange Zeit versucht Low-Carb zu leben und kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man in viele unangenehme Situationen kommt. Bei jedem Grillfest, bei Hochzeiten oder Geburtstagen möchten die Menschen gerne wissen warum man das Brot zu Seite legt. Nach meiner Erfahrung muss man sich andauernd rechtfertigen und das ist für ein langes Durchhalten nicht gerade von Vorteil.”
4. Low Carb löst bei vielen die Angst aus, nie richtig satt zu sein und das dadurch Heißhungerattacken vorprogrammiert sind? Konsequent Low Carb – das hält doch keiner aus.
“Ja, das beobachte ich auch vermehrt. Mein Tipp, wenn man sich für Low-Carb High-Fat entscheidet sollte man folgendes nicht vergessen: Die Energie und das Sättigungsgefühl bei dieser Diät kommt von Fetten! Den ganzen Tag nur Salat zu essen ist also nicht empfehlenswert. Man sollte immer darauf achten, dass man auf seinem Teller gute Fette hat. Avocado, Nüsse, gute Öle und Oliven mag ich persönlich sehr gerne.
Eine der größten Fallen in die man weiterhin tappen kann ist, dass man zu viel Fette zu sich nimmt. Ein Mittagessen mit Bacon, Würstchen und Kräuterbutter wäre demnach Low-Carb, aber der Rest der Makronährstoffe fehlt und die Fettquellen wären anhand dieses Beispiels nicht besonders klug gewählt. Alles in Maßen und nicht in Massen.”
5. Ok, soweit klar. High Carb ist dann das Gegenteil? Klingt nach jeder Menge Süßigkeiten, Reis, Kartoffeln oder Nudeln. Was steckt genau dahinter und welche Vorteile bietet diese Ernährung?
“Ich liebe Süßigkeiten! Aber die haben, so leid es mir tut, nichts mit der High Carb Low Fat Diät zu tun. Bevor wir uns die Vorteile anschauen, möchte ich kurz etwas zu den Kohlenhydraten sagen. Die Gymondo Leser sollen wissen, dass Kohlenhydrate nicht „schlecht“ sind oder auch nicht der Feind. Wir brauchen Kohlenhydrate um uns langfristig ausgewogen ernähren zu können. Das Problem ist, dass kurzkettige Kohlenhydrate, stark gezuckerte Nahrungsmittel und Weißmehlprodukte in unseren Kaufhäusern viel zu präsent sind. Kurzkettige KH liefern viele Kalorien, ohne dass Sie uns gut sättigen.
Wenn man also Weißbrot und Fertigprodukte radikal von seinem Einkaufszettel streichen würde, scheint es, als könnte man gar nichts mehr essen. Falsch! Es bleiben viele fantastische Produkte übrig wie Reis, Kartoffeln, Quinoa oder Bohnen, allerdings braucht man hier mehr Geduld in der Küche ?
Vorteile dieser Diät im Überblick:
- KH liefern deutlich schneller Stoffwechselenergie (ATP) als andere Makronährstoffe
- KH liefern sehr schnell Glukose (Bei einer Low Carb Ernährung, kann sich der Körper die Glukose selbst herstellen, das dauert aber etwas länger)
- Hoher Anteil an voluminösen Kalorienträgern sättigen stark und vermindern den Verzehr anderer Nahrungsmittel
- Reichlich Ballaststoffe sorgen für ein stärkeres Sättigungsgefühl
- Langfristig besser durchzuhalten
- Günstiger Einfluss auf die Darmflora
6. Konsequent High Carb? Eine so einseitige Ernährung birgt bestimmt auch Nachteile. Mayka, kannst Du aufzeigen, welche Schattenseiten eine High Carb Diät haben kann?
“Wie ich bereits erwähnte glaube ich, dass nicht die Kohlenhydrate das Problem sind, sondern dass es unglaublich schwer ist vernünftige Kohlenhydrate in den Alltag zu integrieren. Reis, Kartoffeln und Quinoa zB brauchen einfach sehr lang bis sie zubereitet sind. Da ist ein Croissant deutlich schneller zubereitet. Mein Tipp: Ein Reiskocher spart hier viel Zeit in der Küche!
Außerdem werden oft die anderen Makronährstoffe, also Fette und Proteine bei dieser Diät vergessen, ähnlich wie bei der Low-Carb Diät, in der die Kohlenhydrate und Fette vergessen werden. Sich den Teller also nur mir Reis zu füllen wäre schade, weil man ergänzend leckeren Lachs oder Avocado dazu essen könnte.
Außerdem werden Verbrauchern vermeintlich “gute” Kohlenhydrate empfohlen, die mit unheimlich viel Zucker angereichert werden, damit sie besser schmecken. Ich spreche hier in erster Linie von „Fitnessprodukten“, „Proteinprodukten“ oder „Lightprodukten“. Ganz oft sind darin Salz, Fett oder Zucker versteckt damit die Produkte weiterhin schmecken. Mein Tipp: Macht euch keine Sorgen sondern macht euch euer Müsli, Brot etc. einfach selber!”
7. Was ist denn nun besser konsequent High oder Low Carb? Oder kann man das gar nicht so pauschal festlegen? Welche Faktoren spielen eine Rolle?
“Eine einheitliche Empfehlung kann ich leider nicht herausgegeben. Wie ich schon erwähnte wird dieses Thema in der Forschung kontrovers diskutiert, weil man viele Dinge in Studien nicht beachten kann. Man weiß nicht, ob die Probanden sich wirklich an die Vorschriften gehalten haben. Man weiß nicht was für eine tägliche Arbeitsbelastung die Probanden hatten. Man weiß nicht wie stressig der Alltag der Probanden ist und somit auch die Ausschüttung der Hormone, die der Körperfettreduktion im Weg stehen.
Wir Menschen sind so unterschiedlich, haben unterschiedliche Bedürfnisse und unterschiedliche genetische Voraussetzungen. Nur weil für mich etwas funktioniert, heißt das nicht, dass es auch für meinen Kunden funktionieren muss. Man kann kein einheitliches Konzept für einen multikausalen Prozess entwickeln. Mein Tipp ist, dass man sich ausprobieren muss. Im Leben weiß man selten was das Richtige für einen ist. Man muss immer seine Erfahrungen machen. Sensibel für seinen Körper zu sein und ihn zu beobachten ist fast schwieriger als eine Diät durchzuziehen. Wie reagiere ich darauf, wenn ich mehr Kohlenhydrate zu mir nehme? Werde ich in meinem Sport besser, wenn ich Kohlenhydrate weglasse? Bin ich nach einem Salat glücklich und satt oder geht es mir besser, wenn ich eine paar Nüsse dazu gebe?
Den Körperfettanteil zu reduzieren ist ein dynamisches Zusammenspiel aus unserer Genetik, Umwelt, psychischer Zufriedenheit, sozialem Status und Arbeit.”
8. Ok, und jetzt mal zum Alltag. Heute steht zum Beispiel noch Sport auf dem Tagesplan. Wie ernähre ich mich am besten an so einem Tag, bzw vor und nach dem Training?
“Auch hier gilt: Man kann einen so individuellen Prozess leider nicht verallgemeinern. Im Vorfeld wären hier unendlich viele Fragen zu klären. Um welchen Sport geht es? Wann und wie häufig gehe ich zum Sport? Jeder definiert Sport anders. Für den Einen ist es ein Spaziergang, für den Anderen Kniebeugen mit 90 Kilo auf dem Rücken.
Ich kann so viel sagen: Man muss auf jeden Fall essen. Ich denke, das Fatalste ist nichts zu essen. Weniger zu essen bedeutet nicht, dass man abnimmt, sondern seinen Körper in einen unerträglichen Zustand begibt. Man signalisiert ihm, dass nichts zu Essen da ist. Die Reaktion des Körpers kann unter Anderem sein, dass er Stoffwechselvorgänge runterschraubt. Bei den Frauen könnte die Periode unregelmäßig kommen oder man hat ein ständiges Mittagstief.
Egal welcher Sport betrieben wird: Wenn man dem Körper nicht die Bausteine gibt, die er braucht (Kohlenhydrate, Fette und Proteine) wird er schlechter funktionieren.”
9. Erholungstage sind mindestens genauso wichtig wie Trainingstage! Sollte ich mir Gedanken darüber machen, ob eher Low Carb oder High Carb Gerichte an sportfreien Tagen auf meinem Teller landen?
“Interessante Frage! Allerdings ist hier eine allgemeine Empfehlung wieder schwierig, da ich nicht weiß um welchen Sport und um welche Person es sich handelt. Ich für meinen Teil habe eine Zeitlang versucht so etwas fest in meinen Alltag zu integrieren. Aber wenn man eine sehr unregelmäßige Woche hat so wie ich, mal im Urlaub ist oder schlecht schläft, kann so ein Ruhetag eher fällig sein. Ich empfehle den Lesern sich auf ihr Gefühl zu verlassen. Fühlen sich meine Beine schwer an? Habe ich die letzten Nächte schlecht geschlafen? Werde ich im Training schlechter? Wenn man alle Fragen mit einem „JA“ beantworten kann, dann würde ich empfehlen einen Ruhetag einzulegen.”
10. Was empfiehlst Du denen, die langfristig und gesund abnehmen möchten für eine Ernährungsweise?
“Essen, Geduld und bitte keine radikalen Diäten! Regelmäßige Mahlzeiten zu sich nehmen und darauf achten, dass man Kohlenhydrate, Proteine und Fette auf dem Teller hat. Es gibt nun mal nicht DIE eine Ernährungsform. In einer Welt voller Detox- Smoothies und heilbringenden Ernährungsweisen vergessen die Leute die Basics: Essen, Schlafen und Trainieren.”
11. Und wenn ich nicht abnehmen will, sondern einfach nur fit und gesund werden, bzw. bleiben?
“Hier gilt dasselbe. Viel Schlafen, regelmäßige Mahlzeiten zu sich nehmen und diese auch genießen – nur eben ohne Sport, sondern vielleicht mit regelmäßigen Spaziergängen am See.”
Danke für das spannende Interview!
Mayka Sack (26) ist Ernährungsberaterin, Sporttherapeutin, Gymondo Trainerin und Fitnesstrainerin in Berlin und Umgebung. Sie versucht gemeinsam mit ihren Kunden eine individuell abgestimmte Ernährungsweise zu finden, die durchzuhalten ist. Ihr ist es wichtig, dass diese Ernährungsweise guttut und langfristig ins Leben integriert wird. Ihre Philosophie: Jeder ist sein eigener Held!
Instagram: mayka_sack
Website: www.acompanar.de
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