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Gluten – die Saat des Bösen?

Glutenfrei ist groß in Lebensmittel-Mode. Wer sich gesund ernähren möchte, sollte unbedingt auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten, heißt es. Denn Gluten macht Bauchschmerzen und vernebelt das Gehirn. In der Fachsprache heißt das Zöliakie und Brain Fog. Besonders in den Fokus geraten ist dabei die liebste Getreidesorte der Deutschen: unser Weizen.

Weizenkörner
Sieht so die Saat des Bösen aus?

Das Wichtigste über Gluten in Kürze

  • Eines vorweg: Nur jeder 250ste Deutsche leidet an einer Glutenunverträglichkeit. Die meisten von uns haben also keinerlei Probleme, Gluten zu verdauen.
  • Solltest Du betroffen sein, dann solltest Du nicht nur auf die Getreidesorten Dinkel, Hafer, Roggen und Gerste verzichten, sondern auch auf Fertigsuppen, Pommes Frites, Fischstäbchen, Wurst, Frikadellen, Kroketten und Gewürzmischungen, in denen sich auch gern Gluten versteckt.
  • Zu den glutenfreien Getreide- und Pseudogetreidesorten zählen Reis, Mais, Hirse, Quinoa, Buchweizen und Amaranth. Auch bei Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch machst Du nichts verkehrt.

Weizen, der einst als „Seele der Erde“ gepriesen und von Noah auf die Arche gerettet wurde, um die Menschheit zu ernähren, gilt heute als die Saat des Bösen. Schließlich gehört der Weizen, neben Kuhmilch, Eiern, Soja, Fisch und Erdnüssen zu den größten Auslösern einer Lebensmittelallergie. Aber ist er deshalb gleich derart zu verteufeln? Besonders Soja, Eier und Fisch gelten, im Gegensatz dazu, bis heute als uneingeschränkt gesund und empfehlenswert. Schuld an der Misere des Weizens ist das darin enthaltene Gluten. Doch wie böse ist das Gluten wirklich? Wir haben uns auf eine objektive Spurensuche begeben.

Was ist Gluten?

Gluten ist eine Mischung aus verschiedenen Proteinen, die Du nicht nur in Weizen, sondern in allen gängigen Getreidesorten vorfindest. Ob Dinkel, Hafer, Roggen oder Gerste – Gluten steckt in jedem Getreidekorn. Für dieses fungiert das Gluten als Speicherprotein, das im Laufe des Keimprozesses dem Keimling Nährstoffe bereitstellt. Der Mensch nutzt die Eigenschaften des Glutens als Kleber. Denn es bildet die Grundlage dafür, dass das Getreidemehl bei seiner Verarbeitung in der Backstube oder der heimischen Rührschüssel zu einem klebrigen, zusammenhaltenden Teig wird. Daher auch der Ausdruck Klebereiweiß.

Gluten besteht aus Prolaminen und Glutelinen. Diese unterscheiden sich, je nach Getreideart, geringfügig in ihrer Struktur, weshalb sie jeweils eigene Namen verpasst bekamen. Die Gluteline im Weizen heißen Glutenin, die Prolamine Gliadin.

Zöliakie – wenn Gluten krank macht

Zöliakie ist die dauerhafte Unverträglichkeit gegenüber Gluten, unter der recht viele Menschen weltweit leiden. Bei Erwachsenen spricht man häufig auch von Sprue. Bei den Betroffenen löst das Gluten eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut aus. Dadurch sterben im Laufe der Zeit Millionen Dünndarmzotten ab. Diese Dünndarmzotten brauchst Du aber, um lebenswichtige Nahrungsbestandteile zu verdauen und aufzunehmen. Werden sie zerstört, kommt es zu Mangelerscheinungen und Unterernährung. Typische Symptome einer Zöliakie sind Durchfall, Gewichts- und Kraftverlust, Blähbauch, Bauchschmerzen, Übelkeit sowie Wachstumsstörungen bei Kindern.

Außerdem wurden Fälle dokumentiert, in denen Anämie (Blutarmut) und Osteoporose (Knochenbrüchigkeit) auf eine Glutenunverträglichkeit zurückgeführt werden konnten. Der sogenannte Reizdarm steht ebenfalls im Verdacht, im Grunde auf einer Unverträglichkeit des Klebereiweißes beruhen. Eine sichere Diagnose kann anhand einer Dünndarmbiopsie gestellt werden. Dabei werden dem Dünndarm Proben entnommen, die dann im Labor untersucht werden können. Stellt sich heraus, dass der Patient tatsächlich unter Zöliakie leidet, gilt es auf jegliche glutenhaltigen Lebensmittel in Zukunft zu verzichten.

Frau krümmt sich mit Bauchschmerzen auf dem Sofa
Bauchschmerzen durch Gluten müssen nicht sein

Mögliche Ursachen der Glutenunverträglichkeit

Nach einer Einschätzung der Deutschen Zöliakie Gesellschaft leidet jeder 250ste Deutsche unter einer Glutenunverträglichkeit. Die meisten von uns haben also keinerlei Probleme mit der Verarbeitung des Glutens und können Getreide, in sämtlichen Variationen, zu sich nehmen, ohne dabei ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Warum entwickeln also einige Menschen eine Glutenunverträglichkeit und andere nicht?

In den meisten Fällen wird davon ausgegangen, dass die mangelhafte Proteinverdauung auf einen Magensäuremangel zurückzuführen ist. Dieser Mangel kann durch die regelmäßige Einnahme von Medikamenten, welche die Produktion der Magensäure hemmen, verursacht werden. Auch eine Unterversorgung mit Zink oder Vitamin B6 können ebenso wie eine chronische Übersäuerung des Gewebes aufgrund einer säureüberschüssigen Ernährungs- und Lebensweise einen Magensäuremangel hervorrufen. Durch den Mangel an Magensäure gelangen unvollständig verdaute Glutenpartikel, sogenannte Peptide, in den Darm. Ist die Darmschleimhaut geschädigt, können diese Partikel dieselbe passieren und in die Blutbahn gelangen. Das Gluten steht wiederum im Verdacht, an der Förderung einer chronischen Übersäuerung sowie an der Zerstörung der Darmflora beteiligt zu sein. Somit würde das Klebereiweiß selbst die Voraussetzungen für eine Unverträglichkeit schaffen.

Bei solchen Theorien gilt es stets festzuhalten, dass man bis heute nicht weitreichend wissenschaftlich erklären kann, wie unser hochkomplexer Verdauungsapparat mit Grundnahrungsmitteln wie Getreide interagiert. Auf diesem Unwissen basieren Mythen wie die über das „verteufelungswürdige“ Gluten.

Brainfog – wenn das Brot Deinen Verstand trübt

Der durch Gluten verursachte „Gehirnnebel“ ist weitgehend unerforscht und kaum dokumentiert. Dennoch gibt es Mediziner wie Dr. Lawrence Wilson, die es als erwiesen ansehen, dass sich eine Glutenunverträglichkeit auch in alzheimer- oder demenzähnlichen Symptomen äußern kann. Menschen die unter Brainfog leiden, seien demnach, nach dem Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln, nicht mehr in der Lage, sich zu konzentrieren, schnelle Schlüsse zu ziehen oder Informationen richtig zu verarbeiten. Dabei handelt es sich nicht um einen andauernden Zustand, sondern vielmehr über eine Art Kurzzeitverwirrung, die nur wenige Stunden anhält, aber mehrfach am Tag auftreten kann. Auslöser für die Kurzzeit-Vernebelung des Gehirns könnten dabei das Marmeladenbrötchen zum Frühstück, die Pasta am Mittag oder das klassische Abendbrot sein. Denn in all diesen Lebensmitteln steckt Gluten, das schwer verdaulich ist. Geht man nun davon aus, dass die unverdauten Peptide über die geschädigte Darmschleimhaut in die Blutbahn geraten, könnten sie dort körpereigene Stoffe wie Endorphine nachahmen, die im Gehirn wichtige Funktionen inne haben: Sie steuern Dein Glücks- und Schmerzempfinden sowie Dein Hungergefühl.

Wie erkenne ich glutenfreie Lebensmittel?

Es gibt Lebensmittel, die von Natur aus kein Gluten enthalten: Diese kannst du, in unverarbeitetem Zustand und ohne Zusätze bedenkenlos essen, wenn Du unter einer Form von Zöliakie leidest:

  • Obst und Gemüse
  • Fisch, Fleisch und Geflügel
  • Eier
  • Marmeladen und Honig
  • Wasser und Säfte
  • Milch und Milchprodukte
  • Zucker, Salz und Kräuter
  • Kartoffeln
  • Meeresfrüchte
  • Butter, Margarine
  • Nüsse und Öle
  • Kaffee und Tee

Zu den glutenfreien Getreide- und Pseudogetreidesorten zählen: Reis, Mais, Hirse, Quinoa, Buchweizen und Amaranth. Auf verpackten und verarbeiteten Lebensmitteln müssen glutenhaltige Getreide und Zusatzstoffe in der Zutatenliste angegeben werden. Dabei wird das Gluten selbst nicht ausgewiesen, sondern lediglich die Zutat angeführt, welche das Klebereiweiß enthält. Als glutenfrei gelten Lebensmittel, die höchstens zwei Milligramm Gluten auf 100 Gramm enthalten. Der Warnhinweis „kann Spuren von Gluten enthalten“ bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser Wert überschritten wird oder glutenhaltige Stoffe direkt zugesetzt wurden. Zumeist sichern sich die Hersteller mit dieser Warnung ab, wenn glutenhaltige Rohstoffe auf derselben Fertigungsstraße verarbeitet wurden und andere, glutenfreie Nahrungsmittel so „verunreinigt“ werden könnten. Mit Sicherheit klebeeiweißfrei sind Lebensmittel, die das Glutenfrei-Zeichen (die durchgestrichene Getreideähre) tragen.

Verstecktes Gluten

Solange Du Deine Speisen zu Hause selbst und frisch zubereitest, ist es nicht schwer, sicherzustellen, dass sie kein Gluten enthalten. Wenn Du aber Essen gehst oder Dir ein Fertigprodukt gönnst, wird es schon komplizierter. So findest Du Gluten oft in Fertigsuppen, Pommes Frites, Fischstäbchen, Wurst, Frikadellen, Kroketten und sogar in Gewürzmischungen! Vielen Light-Produkten wird ebenfalls das Klebereiweiß hinzugefügt, um sie so zusammenzuhalten. Denn Gluten dient bei der industriellen Herstellung von Lebensmitteln als Verdickungsmittel, Stabilisator und Strukturverstärker. Bei Trockenobst und Nüssen verhindern Mehl und Stärke das Zusammenkleben. Verstecktes Gluten findest Du also in vielen verarbeiteten Lebensmitteln, ein Verzicht auf diese gilt als sicherster Weg, um nicht aus Versehen doch Gluten zu essen.

Heidelbeeren Äpfel Weintrauben Walnüsse
Paleo – die glutenfreie Ernährungsalternative?

Paleo – eine mögliche Alternative

Bei Paleo, der Steinzeiternährung, kommt nur das auf den Tisch, was angeblich auch unsere Vorfahren der Steinzeit gegessen haben: Gemüse, Fleisch, Obst, Fisch, Nüsse, Honig, Pilze und Kräuter. Da zu dieser Zeit noch kein Ackerbau betrieben wurde, gehören Getreideprodukte nicht auf den Speiseplan. Ebenfalls tabu sind Alkohol, Milch und Milchprodukte sowie industriell verarbeitete Nahrungsmittel und Fertigprodukte. Wenn Du unter Zöliakie leidest oder einfach aus Lust und Laune auf Gluten verzichten möchtest, könnte diese Ernährungsweise durchaus ein guter Weg sein, das Gluten von Deinem Speiseplan zu verbannen. Mittlerweile gibt es auch diverse Kochbücher und Internetseiten, die Dich mit vielen abwechslungsreichen Rezepten versorgen. Da Honig erlaubt ist, musst Du auch nicht auf Süßes verzichten, was vielen von uns ja besonders schwer fällt.

Allerdings gehören auch Kartoffeln und Reis nicht auf den Paleo-Tisch, obwohl diese kein Gluten enthalten. Du müsstest also auch auf Nahrungsmittel verzichten, die Du eigentlich essen könntest und schränkst so Deinen Speiseplan zusätzlich ein. Wenn Dir das Paleo-Konzept zu streng ist, kannst Du einfach einige der Rezepte nutzen, um Dich trotz Deiner Unverträglichkeit oder Deiner Gluten-Abneigung besonders abwechslungsreich zu ernähren. Dafür lohnt sich der Ausflug in die Welt des Paleo auf jeden Fall!

Gluten ist nicht die Saat des Bösen

Während meiner Recherche wurde eines immer wieder deutlich: Die Funktionsweisen unseres Verdauungsapparates sind hochkomplex und weit davon entfernt, erforscht und verstanden zu sein. Vieles ist Interpretationssache und wenig gilt als erwiesen. Natürlich gibt es die Zöliakie wirklich und die Menschen, die darunter leiden, werden durch den Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel tatsächlich schwer krank. Aber müssen wir alle deshalb unser täglich Brot verteufeln? Ich denke nicht. Vieles ist sicher überzogen, um Geld zu verdienen mit Diäten und Kochbüchern oder glutenfreien Ersatznahrungsmitteln.

Bereits vor 10.000 Jahren begann der Mensch mit dem Anbau von Weizen und deckt seither rund ein Fünftel seines Kalorienbedarfs über dieses Getreide. Und nun soll es uns alle ins Grab oder in die Psychatrie bringen? Natürlich haben sich unsere hocheffizienten Weizensorten gegenüber dem Beginn des Ackerbaus stark verändert, dennoch enthalten die modernen Sorten heute auch nicht mehr Gluten als ihre urzeitlichen Vorgänger. Das Stigma des Weizens als bösestes Nahrungsmittels überhaupt wird sicher auch nicht ewig Bestand haben. Bis dahin werde ich mich weiter ernähren wie bisher – aus gesunden und frischen Lebensmitteln die ich selbst verarbeite. Dabei achte ich darauf, nicht täglich Pasta, Pizza oder tonnenweise Brot zu essen. Nicht weil ich sie für böse halte oder Angst vor ihnen habe, sondern weil das die Ernährung ist, mit der ich mich gesund und wohl fühle. Und darauf kommt es schließlich an.

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Iris Eggimann

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